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Kommunikation und Authentizität - Müssen wir "authentisch" sein?

 

"Erst, wenn der Mensch sein Herz auf seiner Zunge trägt und seine Seele sich in seinen Augen widerspiegelt ist er authentisch!". Ist das so? Werde ich erst durch die völlige Offenbarung persönlicher Gefühle und Gedanken authentisch? Dass es "da draußen", oft im Business, mehr Schein als Sein gibt, steht außer Frage. Aber ist die Antwort darauf, auch ohne Rücksicht auf die Situation oder Gefühlslage des Geegenübers jeglichen verbalen Impulsen freien Lauf zu lassen? Ist es hilfreich sich diesem von Meinungsbildnern geprägten Leitbild der Authentizität zu unterwerfen? Wie ist es möglich, im professionellen, aber auch privaten Kontext echt, meiner Identität treu zu bleiben und gleichzeitig äußeren Anforderungen zu genügen?

Authentisch aufzutreten als psychologische Kategorie ist nicht nur ein gut gemeinter Rat der Beratungs-Branche, sondern oft auch ein Bewertungs-Kriterium für gute Gesprächsführung in der Coaching-Praxis. Dabei gibt es verschiedene Deutungs-Möglichkeiten, was genau wir mit Authentizität meinen und den jeweiligen Kontext. Weil das häufig von der eigenen Zunft der Personal- und Organisations-Beratenden außer Acht gelassen wird, bin ich diesem Thema mit Hilfe einer Körper- und Bewegungs-Spezialistin nachgegangen...


Im Rahmen einer Intervision habe ich mich mit Conny Gude, die als Tanztherapeutin und Sportwissenschaftlerin Coachs wie mich mit Bewegung und körpertherapeutischen-Methoden "auf die Beine stellt", über Authentizität als ausgetauscht. Weil sie in ihrer bewegungs- therapeutischen Arbeit Psyche und Physis als zusammengehörig versteht, hat sie einen besonderen Zugang zum Thema Authentizität. Im Interview erklärt sie, warum man erfolgreicher ist wenn man die Schuhe auszieht und es professionell ist, nicht immer eine Antwort zu haben.


M.L.: Mich interessiert wie Dein Blick auf dieses "authentische Auftreten" aus Deiner tanz- und bewegungs-therapeutischen Perspektive ist?

 

C.G.: Mir fällt dazu folgendes ein: Ich bin irgendwann einmal gefragt worden in der Supervision, was ich an meinem Beruf gut fände, und dabei war das Erste, was mir einfiel, dass ich keine Schuhe tragen muss! (Lachen!!) Was beobachtest Du in Deinem Arbeits-Bereich?

 

M.L.: Sich gut fühlen, wenn ich die Kleidung tragen kann, in der ich mich wohl fühle und bewegen kann?

 

C.G.: Ich kleide mich mit etwas, was ich gut finde, womit ich mich bewegen kann, was ich mag. Das Tolle daran ist, dass ich im Bewegungsraum keine Schuhe tragen muss. Das ist für mich authentisch! Wenn ich das dort tun müsste, wäre das nicht authentisch. Ich bin dort, was ich sein möchte. Wenn ich rausgehe, gehören die Schuhe dazu und da ist es auch für mich authentisch. Die Tanztherapie wird einfach ohne Schuhe gemacht.

 

M.L.: Es gibt also nicht nur die eine Authentizität..., sondern sie konstituiert sich nach der Situation, ist von den für andere wahrnehmbaren Wirkungsmitteln anders und kontext-abhängig?

 

C.G.: Es gibt für mich einen bedeutsamen Unterschied in der beruflichen und in der privaten Authentizität! Ich bin privat und beruflich authentisch! Ich habe in der Ausübung meines Berufs das Glück, dass das Private und das Berufliche sehr nah beieinander liegen. Das macht es mir so leicht. Noch ein Beispiel ist meine Pünklichkeit. Ich arbeite nach Termin und bin tatsächlich sehr streng, was Pünktlichkeit angeht. Eine Karenz von fünf Minuten lasse ich zu, dann lasse ich keinen mehr rein. Da bin ich Chefin. Das ist gut, das in der Arbeit als Tendenz zu haben. Und privat, da bin ich aber mit einem Mann zusammen, der immer zu spät kommt (lacht!). Im persönlichen Bereich muss ich mich ein bisschen mehr arrangieren und mehr Spielräume lassen.

 

Anmerkung M.L.: Dann erfordert Authentisch-Sein auch Selbstregulation.  Also, ob ich meine Impulse direkt ausdrücke. Oder, ob ich diese erst wahrnehme und dabei entscheide, ob diese jetzt "passen", ob sie hilfreich und konstruktiv sind. Ich muss also entscheiden, ob und in welcher Situation ich  meine Impulse direkt ausdrücke, ob sie also jeweils hilfreich und konstruktiv sind oder gerade nicht wirklich passend. Das hört sich nach der Frage an "Wer bin ich und/oder wer möchte ich sein"? Welche Werte strebe ich an? Welche Vorbilder habe ich? Steht es mir zu, aufgrund meiner "sozialen Rolle" in dem Kontext solche Entscheidungen zu treffen? Passe ich mich "nur" an, oder teile ich die Werte und die Ziele, die angestrebt werden? Hier höre ich auf der einen Seite den Schulz-von-Thunschen Business-Pragmatismus als Erfordernis. Auf der anderen Seite einen (dem Humanismus und der Selbstverwirklichung als oberstes Ziel verpflichteten) Rogerianer oder einen Ruth Cohn-Anhänger, der sagt: "Tue das, was immer mehr Du selber bist..."

 

M.L.: In den einschlägigen Fach-Zeitschriften im Business Bereich und auch in der Psycho-Journaille, steht Authentizität jedenfalls als notwendiges Merkmal für beruflichen Erfolg, für die Qualitäten einer Führungskraft. Übrigens auch in der stärker werte-orientierten Personal-Beratungs-Branche. Welche Assoziationen hast Du aus Deiner Perspektive dazu?

 

C.G. Es ist bedeutsam, ob jemand weiss wer er oder sie ist! Zu wissen was man möchte, was man kann und was nicht. Das Ringen um die Identität. Bei mir persönlich gehört dazu die Sportwissenschaft, meine Basis, die ich sehr verinnerlicht habe.

Was ich meine ist die Entwicklung vom Wissen als Sportwissenschaftlerin und dem Intuitiven, was sich entwickelt hat als Therapeutin: Es ging vom Kopf in den Körper. Die Basis ist intuitiv nach vielen Jahren. Es ist etwas aus der Erfahrung in mir. Je mehr man das verinnerlicht, was man inhaltlich tut, desto authentischer kann man sein.

Dieses Wissen darum, wer ich bin. Das ist ein Prozess und kann sich natürlich ein Leben lang verändern... Ich kann auch im Hier im Jetzt entscheiden, wer ich gerade bin (Anm.: sein möchte...).

 

M.L.: Und ist das dann noch authentisch?

 

C.G.: Ja, es gibt im therapeutischen Kontext Situationen, in denen ich sage "Wir machen jetzt mal (irgend) einen Schritt!"

 

M.L.: Im Business Kontext setzt das voraus, dass ich nachvollziehbar kommuniziere, wie meine Wahrnehmung der Tatsachen ist und auf welcher Wertebasis ich handle und entscheide. Authentisch handeln und auftreten wird nicht immer mit "richtig handeln" korrespondieren.

 

M.L.: Wir haben im Gespräch die Dimension "Identität" in der Authentizität - mit individuellen biographischen Erfahrungen und mit der eigenen Erzählung des Lebens, dem Narrativ, betrachtet. Mich interessiert stärker noch die zweite Dimension des "Authentisch-Seins", nämlich der Rahmen, der Kontext, das System in dem ich "authentisch" sein will oder soll. Also wieder die berufliche oder die persönliche Situation, um die es geht und in der ich mich verhalten muss...

 

C.G.: Wenn ich zu spät zur Arbeit komme, sage ich als Privatperson, dass ich viele Hindernisse auf dem Weg zur Arbeit hatte und zwei anstatt einer Stunde gebraucht habe. Und, dass ich am liebsten "einfach mitmachen" würde, weil es anstrengend war! Als Berater oder Tanztherapeutin habe ich Kompetenzen. Ich kann das tatsächlich ein Stück "zur Seite" setzen, mir bewusst machen (Selbst-Kompetenz), dass ich ärgerlich bin und mich "professionell" meinen Klienten widmen, nähern. Das heißt, es setzt voraus, in der Situation sich selbst zu beobachten. Ich muss ein Bewusstsein für meinen emotionalen Zustand, für meine Gereiztheit, mein Bedüfnis nach Bewegung (weil gestresst) begreifen, "ausloten", was dran ist und mich damit einbringen. Das alles inbegriffen ist "professionell" authentisch. Und es gibt gelegentlich Momente, in denen man nicht weiterweiß. Auch therapeutisch (... und in der Beratung..). Da sollte man sich für einen Moment "rausnehmen", sich das bewusst machen, etwas Zeit nehmen. Sprüren was die Situation ausmacht. Das ist im besten Sinne beides, professionell und authentisch.

 

M.L.: Im Beratungs-Kontext, ob Workshop oder Coaching gibt es diese Situationen ebenfalls. Es entsteht etwas, wofür ich nicht sofort einen Plan habe. Hier ist es richtig eine Auszeit oder Pause einzulegen, Fragen zu formulieren und dann gemeinsam zu reflektieren. Handeln "den Tatsachen entsprechend und glaubwürdig"! Es ist gelegentlich eine Gratwanderung zwischen dem einen persönlichen und dem beruflichen Anteil...

 

C.G.: Es ist natürlich in einer Gruppe schwerer als im Eins-zu-Eins-Gespräch! Ich habe eine großartige Hausärztin, die in meiner Anwesenheit in einem medizinischen Fachbuch nachschlägt und noch mal zur Vergewisserung nachliest. Kein "Ich weiß alles oder ich tue mal so..., sondern ich weiß es (noch) nicht und kümmere mich". Wirklich großartig und absolut authentisch!

Damit zeigt man, dass man immer ein Lernender ist, dass man interessiert und dass man zugewandt ist. Nicht die Große, die alles weiß.

 

M.L.: Was braucht es, um auf diese Weise "den Tatsachen zu entsprechen" und also "authentisch" zu sein?

 

C.G.: Bei der Ärztin ist es der Kontakt und ein bisschen was von mir persönlich erzählen, ohne ins Plaudern zu kommen. Wir sprechen von "Fraktionierten Ich-Botschaften".

 

M.L.: Den Tatsachen zu entsprechen im Auftritt und in der Kommunikation setzt einiges voraus. Selbstreflektion, ein Abgleich von Selbst- und Fremdwahrnehmung, Zugang zu den eigenen emotionalen Zuständen, ein Selbstbewusstsein, das auch Fehler zulässt. Glaubwüdigkeit, so die Empirie, hängt stark ab von der Kongruenz/Übereinstimmung zwischen dem was man sagt und wie man es sagt. Also ob die Worte durch die Körpersprache unterstützt werden und damit übereinstimmen.

 

Sich selbst wahrzunehmen ist für viele Menschen und besonders für beruflich und privat stark beanspruchten Frauen keine so leichte Aufgabe. Im Gespräch mit Klienten, Kollegen, Freunden und Familie ist die Suche nach der eigenen Identität immer wieder ein Thema. Unsere Biografie, Werte und unser Verhalten sind nur ein Teil des Puzzles. Zudem stehen wir unter starkem Einfluss unserer Außenwelt, was es uns zusätzlich erschwert, uns selbst wahrzunehmen. Die eigene Akzeptanz, die Selbst-Liebe und das Ausmaß der Abhängigkeit von anderen, sind dabei entscheidend. Sich allein im stillen Kämmerlein seiner selbst bewusst zu werden, ist in der modernen individualistischen Leistungsgesellschaft nach meinem Dafürhalten nicht für jeden besonders erfolgversprechend. Mir ist es als Psychologischer Coach und Sparrings-PartnerIn  in diesen Situationen besonders wichtig, dass wir uns sowohl unserer persönlichen als auch unserer professionellen Perspektive und Subjektivität bewusst sind. Im Coaching arbeiten wir zusammen am authentischen Auftritt meines Klienten. Für sich herauszufinden, welche Teile des Ichs wann hilfreich sind, und sich dabei zu entfalten, es "stimmig" zu finden und sich wirkungsvoll zu erleben, ist eine großartige Erfahrung. Eine Klientin nannte diese Erfahrung einmal einen "Befreiungsschlag", was ich sehr passend finde. Als Psychologischer Coach ist es mein Ziel, ihnen zu ihrem Befreiungsschlag zu verhelfen. Denn sich die Freiheit zu nehmen, diese Teile des Ichs strategisch zu orchestrieren, ist für viele - häufig Frauen! - eine große Erleichterung und ein großer Schritt zu mehr Power. Ein hilfreicher Schritt, authentisch zu sein, die eigene Power im Beruf und im Privaten "stimmig" zu finden!